Café am Meer

Eine Romance-Minutengeschichte

image1

Nachdem Ally bei der netten Bedienung bestellt hatte, lehnte sie sich zurück und sog den erdigen Algengeruch auf, der vom Meer herüber wehte. Der Korbsessel knarzte als sie die Flipflops abstreifte, ihre Beine anzog und sich in das Sitzkissen kuschelte.

Seit sie hier auf Tybee Island war, kam sie jeden Tag in dieses zauberhafte Café am Meer. Und jedes Mal, saß dieser Mann an dem Tisch nahe der Brüstung und schrieb in sein Notizbuch. Zu gerne würde sie sein Gesicht sehen, das hinter den attraktiven Locken verborgen lag, aber er sah nie von seinem Buch auf. Möglicherweise war er Schriftsteller, wobei er dafür, mit seinem weißen Hemd und der gebügelten Chinohose, eigentlich zu aufgeräumt aussah.

Das Alleinreisen hatte Ally sich romantischer vorgestellt. Vielleicht lag es aber auch an den Südstaatlern, dass sie mit niemandem ins Gespräch kam. Und vielleicht brauchte sie das auch gar nicht. Sie wandte den Blick ab, schob die Sonnenbrille ins Haar und schloss die Augen. Mit einem tiefen Seufzer streckte sie ihr Gesicht der untergehenden Sonne entgegen und genoss das orangene Glühen, das sie durchflutete, wie eine liebevolle Umarmung.

Seit sie unterwegs war, konnte sie zum ersten Mal wieder etwas Schönes am Leben erkennen. Die Momente, in denen sie nicht über die Scheidung und über die Frage, warum sie das alles durchmachen musste, nachdachte, häuften sich mit jedem Kilometer, den sie auf ihrer Reise zurücklegte. Ally sank tiefer in den Korbsessel, während ihr Atem immer ruhiger wurde und nach einiger Zeit mit dem rhythmischen Rauschen der schäumenden Brandung verschmolz.

Als sie ein Schatten streifte, öffnete sie die Augen. Auf dem Tisch vor ihr lag ein Zettel. Ohne zu zögern griff sie danach und faltete ihn auf. Beim Anblick des ersten Satzes, schluckte sie:
„Ich musste es dir unbequem machen, sonst hättest du dich nie bewegt. Dein Universum.“

Darunter stand noch etwas: „Dieses Zitat kam mir die letzten Tage immer wieder in den Sinn, wenn ich Sie gesehen habe. Zu gerne würde ich erfahren, warum Sie das Universum hierhergeführt hat. Sehe ich Sie morgen um die gleiche Zeit? John.“

Ally sah auf, der Mann mit den Locken war weg. Zurück blieb ein Kribbeln – eines, von dem sie geglaubt hatte, es niemals wieder zu spüren.

Copyright 2024 Veronika Gamsreiter. Alle Rechte vorbehalten.

Weitere Beiträge

Jetzt für meinen Newsletter anmelden und nichts mehr verpassen!

Jetzt anmelden
und auf dem Laufenden bleiben!